Pflanzenasylanwältin

Manche haben ein Herz für Tiere, andere ein Herz für Pflanzen. Ich kann am Abverkaufsregal im Blumen- und Gartenmarkt nicht vorbeigehen, ohne mir rechts und links eine Pflanze unter den Arm zu klemmen.
Rosa Bauernhortensie: Pflegetipps für Hortensien im Gartenlexikon für Gartengestaltung finden

Ich habe noch nie einen Hehl daraus gemacht – für den Gerichtsschreiber hier aber nochmal: Grünzeug betreffend bin ich junges Gemüse. Grün hinter den Ohren, aber nicht am Daumen.
In der Wohnung hatten wir keine Pflanzen, weil unsere Katze sie mit Vorliebe kaut und darauf hin in Ecken geht, um alles wieder herauszuwürgen – das mindert die Freude an Blumen ungemein.

Der neue Garten bewirkt Wunder und bringt die tief vergrabene, aber offenbar wuchernde Pflanzenliebe in mir zum Florieren.
Mit Set-backs wohlgemerkt. Erst vor wenigen Tagen haben mich meine Cousine und ihr Mann schonend, aber bestimmt darüber in Kenntnis gesetzt, dass ich am schlechten Zustand so mancher Himbeerpflanze vermutlich selbst schuld bin, da die Komposterde, die man sich gratis von einigen Wiener Mistplätzen holen kann, nicht 1:3 mit Blumenerde gemischt habe. Zu scharf. Fahrlässig für eine Pflanzenmutter (mein Urteil, nicht deren Schlussplädoyer).

Aber gewillt zu lernen und den Ist-Zustand zu verbessern, bin ich ihrem zweiten Rat gefolgt, Hortensiendünger zu kaufen. Dünger halte ich als Garten-Neuling zwar noch für absoluten Humbug und gehe in die Verteidigung à la „Die Blumen wachsen doch sicher auch von selbst“, „Was kann denn so Tolles in diesen stinkenden Kügelchen sein, das den Blumen Superpower gibt?“ und „Kann ich nicht einfach den Rosendünger, den ich schon habe auf die Hortensien hauen?“, ABER ich werde die Zauberkraft des Düngers wohl erst kennen, wenn ich mich durch Anwendung von seinen Wunderwerken überzeugt habe.

Also habe ich mich gestern Früh für Hortensiendünger und einen Stab zum Hochbinden einer Pflanze auf ins Gartencenter gemacht. Auf dem Weg in die Halle für Draußen-Pflanzen und deren Zubehör – wie eben mein Stecken – muss man durch drei Schiebetüren. In jeder Halle und mit jeder Schiebetüre wird es ein Stückchen kühler, das Klima rauer, die Wiederkehr ungewisser und in jeder Halle gibt es ein Abverkaufsregal für die Übriggebliebenen, die Beschädigten, die Geschwächten, die Halbverwelkten.

In Halle 3, wo ich meinen Schritt wegen des Hortensiendüngers verlangsamen musste, hatten sie mich. Nicht nur, weil ich ein Schnäppchenjäger bin, sondern – und vor allem – weil mir diese Pflanzen so leid taten. Ausgesondert von den Anderen, dem Schleuderpreis freigegeben. Sie wollten doch nur schön sein und Freude machen, und dann fährt ihnen so ein Trampel mit dem Einkaufswagen einen Ast ab. Was können die denn dafür, dass sie tagelang in einem Regal in der letzten Reihe standen, wo sie kein Tropfen Wasser aus dem Schlauch erreicht hat? Vor zwei Wochen standen sie noch so hübsch in voller Blüte und jetzt, da sich niemand ihrer erbarmt hat, hat man ihnen die jungen Triebe gestutzt – schnipp, schnapp … und schon hat die Rose nur mehr 7 cm lange Asterl, an denen fünf Blätter hängen. Keine Blüten mehr. Armes Ding.
Alle anderen wurden abgeholt. Für den vollen Preis. Dabei waren die nicht schöner oder gesünder, die standen einfach weiter vorne und hatten größere Blütenköpfe – also in Ordnung, … sie waren schöner. Aber da kann doch die arme Rose mit dem Topfhaarschnitt-Äquivalent nichts dafür. Oder die perfekt okaye Zwerg-Thuja. Die Sukkulente mit den angebräunten Blättern (spricht man bei Hauswurz oder Sukkulente von Blättern?) und die Hortensie mit den hängenden Ärmchen und farblos werdenden Blüten. Oder dieses eine Zwergenpflanzerl, von dem ich nicht einmal den Namen kenne.

Ich gehe zum Selbstschutz immer ohne Einkaufswagen ins Gartencenter. Das Spiel mit der Pflanzenrettung kenne ich nämlich schon. Kaum sehe ich sie auf ihrem Regal, zieht es mich in ihre Nähe und dann hebe ich eine nach der anderen runter, lege den Arm um den Plastiktopf und spür mal hin. Ob wir zusammengehören und so.

Und mein Verstand sagt: „Du hast doch keine Ahnung von Pflanzen!“ und in Samis Stimme höre ich mich fragen: „Wo soll denn die hin?“ und viel lauter als alles andere: „Aber es sind ja nur 10 statt 20 Euro“ und „Du hast die Chance, an mir verhunztem Pflänzchen, was zu lernen“, „Wachse über dich hinaus“, „Ich will nicht auf den Bio-Müll“, „Wenn du mich heuer kaufst, hätte ich schon ein Jahr Wachstumsvorsprung gegenüber einer Pflanze, die du erst nächstes Jahr kaufen würdest und wenn ich doch sterbe – es läge an mir, nicht an dir – dann kannst Du 2018 eine neue Pflanze kaufen. Ich koste kein Vermögen. Schau, ich lasse die Äste hängen, deshalb bin ich billig. Bitte nimm mich mit. Lass es uns versuchen.“

Genau deshalb wohnen jetzt alle bei uns – neben alteingesessenen Forsythien-, Hibiskus- und Flieder-Pflanzen, überall wuchernden Himbeeren, geduldeter Brombeere, Vollpreis-bezahltem-Blauregen und Teures-Geld-Hortensien. Die Alten kümmern sich um sich selbst, die Vollpreisigen pflege ich, so gut ich kann, aber meine kleinen Pflanzenasylanten bringen mich zum Schmunzeln.

 
 

 

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