Was Nachrichtenforschung und die Fashion Revolution verbindet

Über das Schwarz-Weiß-Denken, Ressourcenschonung und was die Gatekeeper-Funktion mit der Modebranche zu tun hat.
Gedanken zur Fashion Revolution Week und der Verantwortung der Modebranche.

Vergangene Woche hatte ich eine ausgewachsene Schreibblockade. Das passiert mir mittlerweile nicht mehr sehr häufig – wer viel schreibt, entwickelt Techniken, die helfen, sich anbahnende Schreibblockaden zu umschiffen.
Letzte Woche kam aber wieder so ein Thema: die Fashion Revolution. Anlässlich der Fashion Revolution Week sollte ich ein Interview mit Modebranchenvertreter:innen führen und sie zur ihrem persönlichen Zugang zur Fashion Revolution befragen. Hier kommt mein Fazit.

Lautes Grundrauschen

Wir befinden uns in der größten globalen Krise unserer Zeit. Große Regenwaldgebiete am Amazonas brannten monatelang und die Medien folgten den Flammen, bis die Corona-Pandemie die Schlagzeilen übernahm. Eine Million Corona-Tote allein in Europa zählt die traurige Bilanz bisher, die in ihrer Größe schon zu gewichtig geworden ist, um sie zu erfassen – solange es uns nicht persönlich betrifft, nennen wir es einen Kollateralschaden politischen Versagens und machen weiter.
21 500 Geflüchtete sind seit 2014 im Mittelmeer ertrunken, darüber lesen wir nur selten. Stattdessen werden wir hellhörig, wenn uns die Medien erzählen, dass wir uns darauf einstellen sollen, dass wir das bestellte XYZ ein paar Tage später bekommen, weil ein Containerschiff tagelang im Suezkanal stecken bleibt. Auf einmal gafft die Welt auf eine Wasserstraße, deren Verlauf Otto Normalverbraucher erst einmal ergoogeln musste. Wir zucken kaum noch mit den Schultern, wenn zweimal in der Woche von Shootings in den USA berichtet wird. Ja, die Welt steckt in einer Krise der Verrohung und der Gleichgültigkeit.

Und inmitten dieses Chaos, schreibe ich an einem Artikel über die Fashion Revolution. Eigentlich ziemlich straight forward. Wie Fahrstuhlmusik.
Dabei hat die Bewegung einen bestürzenden Hintergrund, der uns damals noch zu erschüttern vermochte. Ob er das heute noch könnte?
Am 24. April 2013 stürzte eine achtgeschossige Textilfabrik in Bangladesch ein und riss 1134 Menschen in den Tod.

Eigentlich ganz leicht

Ich glaube, wir wissen alle, dass wir das für unsere Welt nicht wollen. Ich bin davon überzeugt, dass niemand Textilien auf der Haut tragen will, die mit Chemikalien behandelt sind. Ich meine, dass jedeR ein bisschen hinspüren kann, was es heißt, sich nicht aussuchen zu können, ob man eine Schule besucht, eine Ausbildung macht, sich ein Leben schafft, das nicht vom „Müssen, um zu Überleben“, geprägt ist.

Mein Auftrag war eigentlich ganz leicht. Fünf passende Gesprächspartner:innen waren rasch gefunden. Jede:r von ihnen legt mit dem eigenen Unternehmen einen anderen Schwerpunkt. Die wohlwollende, bewusste Haltung gegenüber der Notwenigkeit einer nachhaltig agierenden Modebranche ist bei allen gegeben.
Zumindest von außen. Zumindest von dem, was sich sachlich recherchieren lässt.

Und dann …

Dann kam das persönliche Gespräch und ich bin an jemanden geraten, der mir die Fashion Revolution als Schwarz-Weiß-Deal verkaufen wollte. Da gibt es die Guten und die Bösen. Dazwischen ist nichts – außer Greenwashing. Und es hat mich zum ersten Mal richtig über die Klippe gestoßen, an einen Ort, an dem jeder Gedanke, den ich zu formulieren versuche, der falsche ist.

Nicht zu polarisieren heißt nicht, meinungslos zu sein

Ich glaube, ich bin zu einem Gutteil deshalb in den Journalismus gegangen, weil ich Meinungen stehen lassen kann. Ich höre mir an, was meine Gesprächspartner:innen mir sagen wollen, lese dabei sehr sensibel zwischen den Zeilen und gebe wieder, was mir vermittelt wurde. Menschlich, aber auch in meinem Schreibstil, polarisiere ich nicht, weil ich mich immer in alle Positionen hineinversetzen kann. Aber manchmal will ich das nicht.

Ich will ich nicht in jemanden hineinversetzen, der mir erklärt, dass die eigene Arbeit, die einzig richtige ist. Die andere Meinungen als unzulässig hinstellt, mich in die Position zwingt, zwischen zwei Dingen zu wählen und mir vermittelt, dass es sich um zwei konträre Standpunkte handelt.

So funktioniert die Fashion Revolution nicht

Oft wird die Fashion Revolution als Dogma missverstanden, doch je mehr man in die Tiefe geht, desto mehr stellt man fest, dass Fairness in der Mode nicht nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip funktioniert. Weder für Konsument:innen noch für Unternehmen in der Modebranche. Die Fashion-Revolution-Bewegung widmet sich daher mit den zehn Forderungen ihres Manifests unterschiedlichen Prozessen in der Erzeugung, Vermarktung und Verwendung von Kleidung.
Die große Frage ist, „Wer hat meine Kleidung gemacht?“, aber dieser Frage untergeordnet geht es um Sicherheit, Fairness, Vielfalt, Gleichheit, Rechte, Kulturgut, Solidarität, Demokratie, Ressourcenschonung und Transparenz. Kurz gesagt: Es geht um die Bedingungen, unter denen Mode entsteht sowie die Bedingungen, unter denen sie vermarktet und konsumiert wird.

Schwarz, Weiß oder doch ein bisschen Grau?

Die Fashion Revolution strebt ein Optimum an, aber sie erkennt auch an, dass es einen Prozess dorthin gibt. Das Manifest der Fashion Revolution hat zehn Punkte, innerhalb derer wir alle agieren. Als Unternehmer:innen, Designer:innen, Wissenschaftler:innen, Journalist:innen und Konsument:innen.

Das eine Unternehmen achtet vielleicht besonders auf die Produktionsbedingungen, verwendet jedoch Materialien, die nicht besonders nachhaltig sind. Ein anderes achtet bei der Auswahl der Models sehr auf Diversität, produziert aber mit großem Warenüberschuss. Das nächste Unternehmen achtet auf kurze Transportwege und Bio-Qualität, doch der Rock reißt am Klettergerüst genauso schnell wie das Nicht-Bio-Pendant. Was ist schon perfekt?

Was genau ist Ressourcenschonung?

Die Aufgabe endet nicht bei den Unternehmen. Die Verantwortung, zu der die Fashion Revolution aufruft, betrifft auch Konsument:innen. Aber wer handelt besser? Die Familie, die wenige Stücke bei H&M kauft und trägt, bis sie auseinanderfallen, oder der/die Fashion-Liebhaber:in, die den Kasten jede Woche mit zwei neuen Bio-Kleidungsstücken füllt.

Was bedeutet Nachhaltigkeit? Das Wort „Ressourcenschonung“ sagt nicht, dass es bei der Fashion Revolution in erster Linie um die Umwelt geht. Wenn die Eltern, die sich mit dem Familienbudget „nur“ Kleidung von H&M leisten können, dafür mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen können, weil sie keinen High-Pay-High-Pressure-Job ausüben, ist das nicht auch eine Form von Nachhaltigkeit? Ist das nicht auch eine Form von Ressourcenschonung? Vielleicht veranstaltet diese Familie dreimal im Jahr Müllsammelaktionen in ihrer Umgebung. Vielleicht investieren sie das Geld, das sie bei Kleidung einsparen in Bio-Lebensmittel. Oder ein Lastenrad, um Besorgungen mit dem Fahrrad zu erledigen.

Für mich gibt es hier kein Schwarz und Weiß. Es gibt nur ein Gesamtbild, das man sich anschauen muss. Dabei gibt es hellere und dunklere Flecken in jedem einzelnen Leben. Aus der Summe ergeben sich ganz viele Graustufen und ich wage es nicht, mir die Beurteilung anzumaßen, was davon besser ist.

Was mich von der Klippe gestürzt hat

Jemand wollte von mir, dass ich mich solidarisch zeige, „die Bösen“ in der Modebranche zu sehen und anzuprangern. Die, die es schlechter machen. Jemand wollte, dass ich erkenne, wer es hier besser macht, und eine Bewertung abgebe. Ich halte das nicht für meine Aufgabe. Das macht fairer Journalismus nicht. Er bildet ab und hilft Lesenden dabei, sich anhand ihres Wertesystems ihre eigene Meinung zu bilden.

Was ich von der Modebranche erwarte

Die Sache mit den Schleusenwärter:innen

Im Journalismus bzw. in der Nachrichtenforschung gibt es die sogenannte Gatekeeper-Funktion. Dabei werden komplexe Sachverhalte und große Datenmengen für die Wiedergabe reduziert. Es gäbe täglich mehr Informationsangebot, als das dreißig Zeitungsblätter füllt. Es gäbe mehr als fünf Schlagzeilen, die in die ORF-Rubrik „COV INLAND“ passen würden. Aber jemand sitzt da und sortiert vor. Wir lesen, was durch den Filter gelangt ist. Wir lesen, was der Gatekeeper für unser Leben als relevanteste Information empfunden und durch die Schleuse gelassen hat.

Und wir vertrauen dem Gatekeeper und der Institution, für die er arbeitet. Deshalb ist es auch so wichtig, sich seine Go-to-Medien auszusuchen.

Gatekeeper in der Mode

In erster Linie bin ich in Sachen Mode nicht Journalistin. Regelmäßig über Mode zu schreiben ist so fern von meiner Lebensrealität wie der Grund des Marianengabens von der Wasseroberfläche. Was Mode betrifft bin ich Konsumentin und ich ERWARTE von Branchenkenner:innen, dass sie als Gatekeeper fungieren. Ich erwarte, dass sie auf faire Löhne achten, wo ihnen das möglich ist. Ich setze voraus, dass Materialien verwendet werden, die weder den Hersteller:innen, noch den Färber:innen, noch meinem Körper oder der Umwelt nachhaltig schaden. Ich verlasse mich darauf, dass Standards eingehalten werden, die zu einer Zertifizierung führen. Ich vertraue darauf, dass die Erfahrung des Unternehmens in der Bestellung einer Stückzahl mündet, die realistischer Weise verkauft werden kann.

Wir dürfen fordern, dass jede:r das Beste gibt

So wie Lesende gut recherchierten Journalismus erwarten, erwarte ich transparente Lieferketten. Ich habe nicht die Zeit und Energie, jedem T-Shirt und jeder Hose vom Baumwollfeld über den Nähtisch bis zum Kleiderhänger im Geschäft hinterherzureisen. Ich erwarte, dass das Unternehmen, das es mir verkauft, seine Aufgabe als Schleusenwärter wahrnimmt und durchlässt, was es geprüft hat.

Auch ich habe geprüft und mein Text ging mit einer Stimme weniger als geplant online. Weil Nachhaltigkeit und Fairness auch damit beginnt, sachliche Argumente statt persönlicher Meinung sprechen zu lassen und wenn diese Argumente fehlen, erlaube ich mir Gatekeeper zu sein.

Persönliche Befindlichkeiten haben wenig Platz in einer Revolution, in der wir – mit unterschiedlichen Mitteln – für die gleiche Sache kämpfen.

7 Dinge, die Du als Endkonsument:in für die Fashion Revolution tun kannst

  1. Ändere die Frage: Von „Will ich das?“ zu „Brauch ich das?“
  2. Achte auf die Zusammensetzung der Fasern. Mischfasern lassen sich meist nicht recyceln.
  3. Achte auf offizielle Zertifikate.
  4. Wähle Deine Vorbilder, Opinion Leader, auf die Du hörst, und Gatekeeper sorgfältig aus. Du musst selbst kein:e Modeexpert:in sein, um gute Entscheidungen zu treffen. Suche Dir Menschen, denen Du in Modefragen vertraust, dass sie fundiert recherchiert haben, wenn Du an Deine Grenzen stößt.
  5. Traue Dich nachzufragen. Wenn etwas nicht klar ist oder Transparenz fehlt, leg Deinen Finger drauf und frag nach.
  6. Do It Yourself. Setz Dich einmal im Leben an das Projekt „T-Shirt nähen“ – vom Stoffkauf über die Schnittzeichnung bis zur letzten Naht – und sag dann, was so ein T-Shirt kosten sollte.
  7. Verlängere den Lebenszyklus. Reparieren, tauschen (Kleider-Tausch-Events), Second-Hand kaufen, weitergeben.

Weiterführende Links

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